29. Januar 2010

Das Problem von Zwangsehen ist stets, das die Liebe fehlt . Russlands und Europas Gegenwart und Zukunft im Bereich der Kooperation im Energiesektor.

Energie – Eine Einführung in das Thema

Energie hat das Potential eines der wichtigsten und entscheidendsten Themen dieses Jahrhunderts zu werden. Wenn das 20. Jahrhundert das Ölzeitalter war, dann wird sich das 21. Jahrhundert den Namen des Rohstoffs geben, welcher eben jenes ablösen wird. Ein Kandidat ist hierbei das Erdgas. Ebenfalls ein fossiler Energieträger hat es den schlichten Vorzug, dass im Vergleich noch mehr Reserven (nachgewiesene Mengen) und Ressourcen (vermutete Mengen) vorhanden sind, als es beim Öl der Fall ist. Kurz gesagt, das Öl ist schneller alle als das Gas. Und das macht Erdgas langfristig zu einem heißen Kandidaten für den Namen dieses Jahrhunderts.
In Zeiten steigenden Energiebedarfs – und es ist grundsätzlich fraglich, ob diese Entwicklung jemals rückwärtsgewandt sein wird – ist es daher von absoluter Bedeutung für die Energie- importierenden Staaten, sich diesen Rohstoff zu sichern.
Energiepolitik ist lang-fristigen Planungen unter-worfen (Energiestrategie). Diese Langfristigkeit, auch in Verträge über Förderung (Production Sharing Agreements) und den Transport (z.B. via Pipelines) eingebettet, schafft die Energiesicherheit, welche eine der primären Ziele von Energieimportierenden Staaten (zum Beispiel Ländern der Europäischen Union) ist. Um mögliche Abhängigkeiten zu vermeiden und sich seinen außen-politischen, wie auch außen-wirtschaftlichen Handlungsspielraum zu bewahren sollte ein Energieimportierender Staat seine Bezugsquellen und seine Energieträger diversifizieren. Alle Aspekte bedingen einander.

Die Metaebene

Die Europäische Union ist – trotz Finanz- und Wirtschaftskrise – immer noch eine der Hochburgen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Diese Leistungsfähigkeit benötigt allerdings eine wichtige Grundlage – Energie. Ein leistungsfähiger Staat (und damit sind noch nicht ein-mal nur wirtschaftliche Aspekte gemeint) wäre ohne Elektrifizierung oder beheizbaren Wohn-raum undenkbar.
Die europäischen Länder haben den geologischen Nachteil, dass auf ihren Territorien nicht immer ausreichend Rohstoffe (Öl und Gas) vorhanden sind – Norwegen und Großbritannien seien hier genannte Ausnahmen. Das macht die EU in der Summe zu einer Gruppe von Energieimportierenden Ländern.
Die Russische Föderation hat jenen genannten geologischen Vorteil – und weiß ihn auch zu nutzen. An Platz eins liegend, was die Reserven von Erdgas und mittlerweile auch an Platz eins liegend, was die Produktion von Erdöl betrifft, sichert sich Russland einerseits sein wirtschaftliches Wachstum, andererseits auch horrende Profite .
Nun liegt eine Art Zweckehe auf der Hand: Russland hat, was Europa benötigt, nämlich Energie, und andersherum, hat Europa, was Russland benötigt, nämlich Geld, welches es für den Aufbau seiner Wirtschaft dringend benötigt.

Ein kleiner Anfang

Einer der wichtigsten Zeitpunkte in der Entwicklung der geopolitischen Energie-Thematik liegt im Zusammenbruch der SU. Auch wenn Russland einige seiner Satelliten in die Unabhängigkeit entließ, und damit auch einen nicht unwesentlichen Teil des Energie-Kuchens verlor, konnte es doch von einem Faktum profitieren: So wie damals viele Wege nach Rom führten, führten in der damaligen SU eben viele Wege Richtung Moskau – und mit Wegen sind hier Pipelines gemeint. Dies hat Russland lange bereits erwähnte Einnahmen gesichert, denn Gas, oder Öl wurden unter anderem billig von den neu gegründeten Staaten eingekauft, und profitabel in den Westen verkauft. Dennoch markiert dieser Zeitabschnitt auch eine neue Ära der eurasischen Energiepolitik, denn bereits abgeschriebene Felder in Azerbaijan wurden plötzlich durch westliches Know-How wieder förderbar und dadurch lukrativ. Es folgten die ersten Verträge , mit denen der Westen sich neben den obligatorischen Profiten, mittelfristig auch ein Stück an Unabhängigkeit von Russland sichern wollte. In den 90ern folgte Sanierung, Ausbau und Neubau zahlreicher Pipeline-Projekte. Zu nennen sind hier bedeutende Pipelines wie die BTC-Pipeline, welche Öl von Azerbaijan über Georgien in Richtung Türkei liefert.

Der neue Allround-Aspekt: Die Umwelt

Wir leben in einer Zeit, die auch immer bestimmt ist von einem bedeutenden Thema - dem Klima. Die EU setzt sich selbst mit dem Ziel die CO2-Emmissionen zu reduzieren unter Druck. Daraus folgt: Erdgas wird als „grüner“ Rohstoff erachtet, denn es verbrennt im Ver-gleich zu Erdöl um bis zu 30% CO2 ärmer. Die Strategie steht also fest: Erdgas wird zu einem Rohstoff absoluter Priorität für die Europäische Union.
Fehlen noch die Aspekte der Diversifizierung: Ein Sorgenkind-Thema ist die offensichtliche Abhängigkeit vom russischen Erdgas. 40% beziehen die Europäer von der Russischen Föderation .
Ein weiterer Aspekt: Die Energiesicherheit: Nicht nur das ein wesentlicher Teil der im-portierten Gasmengen aus Russland kommt, so werden eben jene Anteile zum überwiegenden Teil über das Territorium der Ukraine geleitet . Spätestens seit der Orangen Revolution und den Gas-Blokaden in den Jahren 2006 und 2009 sind eben jene Energielieferungen nicht mehr als Sicher zu erachten.
Was bedeutet dies für die europäische Strategie? Erstens, sollte der Ursprung des Rohstoffs weiter diversifiziert werden, weitere Exportländer sollten erschlossen werden. Zweitens sollte der Rohstoff Gas sollte nach Möglichkeit über direktem Wege in die EU eingespeist werden, unter Umgehung potentieller Drittländer (Transitländer).

Diversifizierung - oder nicht?

Die Zielregion der Europäischen Staaten ist Zentral Asien, rund um das Kaspische Meer. Mit Azerbaijan zum Beispiel wurden bereits Verträge abgeschlossen. Spätestens mit der Initiierung des im Jahr 2009 beschlossenen Nabucco Erdgaspipeline Projekts wird dieses Ziel deutlich. In Verdis gleichnamiger Oper geht es in erster Linie um Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von Unterdrückung und Fremdherrschaft. Es ist ein fast schon provozierender Name, und der Name ist Programm. Nabucco soll eine Alternative für russisches Gas bieten und Russlands Dominanz auf dem Erdgassektor eindämmen.
Nur eines scheinen die Planer nicht bedacht zu haben: Die azerbaijanischen Ressourcen sind endlich, und die prognostizierten Transportkapazitäten via der noch zu bauenden Pipeline sind schwer mit den im Land vorhandenen Reserven zu realisieren – kurz um: sie sind es nicht!
Es gibt bereits Verträge mit Turkmenistan, dessen Reserven erheblich größer sind, dennoch bleibt die Frage, wie man jene Länder an die Nabucco Pipeline ankoppeln könnte. Im Süden grenzt das Kaspische Meer an den Iran, im Norden an Russland. Russland sollte umgangen werden, und so bliebe der Iran als künftiges Transit-, oder sogar Exportland. Wie realistisch das Pipeline-Projekt auf Dauer sein wird, hängt auch von dieser Frage ab.
Des Weiteren belastet ein ungelöster Konflikt die europäische Erschließung: Der Rechtsstatus des Kaspischen Meers: Es gibt bis dato noch keine transkaspische Pipeline, weil noch keine einheitlichen und vor allem verbindliche Regelungen für dieses Binnenmeer vorhanden sind. Auch hiervon hängt ein Gelingen des Projektes indirekt ab, sofern die Iran-Option nicht gezogen werden würde. Fraglich nur, ob unter dem Gesichtspunkt der Umgehung Russlands eine Einigung mit allen angrenzenden Staaten erzielt werden könnte.
Die gesamte Planung des Projekts – einsehbar auf der zugehörigen Homepage – scheint mindestens wagemutig und „zukunftsorientiert“. Mit den geschaffenen Realitäten (der gebauten Pipeline) könnte allerdings auch schnell der Pragmatismus siegen und kühne Ideen wie die Involvierung Irans wären dann gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Das wird jedoch die Zukunft zeigen.


Die Umwege der Konkurrenz.

Nabucco ist ein Projekt das kaum begonnen, schon äußerst fragil erscheint. Neben dem genannten Problem der Quellen kommt ein weiteres hinzu: Die Konkurrenz schläft nicht.
Das regionale Konkurrenzprojekt der Nabucco Pipeline ist die Southstream Pipeline. Auch wenn Angela Merkel sich für jegliche Importdiversifizierung ausgesprochen hat („…das ist gut für Europa…“), untergräbt diese Pipeline die Rentabilität und damit auch den möglichen Erfolg der europäischen Unabhängigkeitsleitung. Von Kasachstan über Russland via Schwarzes Meer soll die Pipeline in Bulgarien anlanden und Osteuropas Energiesicherheit funda-mentieren. Für Russland bietet besagte Pipeline die Möglichkeit, seine Kapazitäten, welche sonst über ukrainisches Territorium geleitet worden wären, umzuschichten um so weitere Streitigkeiten um bezahlte oder nicht bezahlte Gasrechnung nicht mit damit verbundenen Lieferungsstopps auch an die europäischen Kunden beantworten zu müssen.
Diese Lieferungseinschränkungen, gerade im Winter ein besonders wirkungsvolles Druckmittel, waren zuweilen zu echten Krisen ausgeartet, bei denen nicht nur die ukrainische, auch die russische Glaubwürdigkeit als Handelspartner auf dem Spiel stand. Dennoch muss man sehen, das Russland die deutlich besseren Argumente besitzt und allein der Fakt, das es sich leisten kann, den Gas-Hahn einfach zu zudrehen verdeutlicht, das die EU keine wirkliche Alternative zu haben scheint.
Eine weitere Umgehung des ukrainischen Transit-Monopols ist die momentan noch im Genehmigungsprozess befindliche Ostsee-Pipeline „Northstream“. Noch von Gerhard Schröder und seinem politischen Freund aus Moskau – Putin – beschlossen, umgeht die Gas-Leitung direkt alle osteuropäischen Länder und landet im westlichen Ostdeutschland an. Die geplanten Kapazitäten der Pipeline sind beachtlich .
Auch wenn es bezüglich Northstream einige Bedenken gibt, was die Umweltkompatibilität angeht, so ist es unwahrscheinlich, dass diese Pipeline nicht genehmigt wird .

Win-win? Pipelines verbinden!

Nun ist eines der Ziele – nämlich die Diversifizierung der Handelspartner – im bisher geschilderten Prozess nicht umgesetzt worden sind. Es liegt auf der Hand, dass es auch keine Alternativen gibt. Afrikanische Länder seien hier genannt, und wie schon erwähnt der Iran. Dennoch ist vor allem in Hinblick auf die Ressourcen und die Reserven in Russland, den zu erwartenden steigenden Energiebedarf in der Europäischen Union und dortigen Umweltanstrengungen, ein Zusammenkommen beider Parteien unausweichlich .
Man darf auch nicht der vor geopolitischen Themen nur so strotzenden amerikanischen Literatur verfallen, die eben jene Abhängigkeit immer wieder anmahnen. Und auch wenn in der 2009 verabschiedeten National Security Strategy der russischen Föderation, Energielieferungen als politisches Druckmittel genannt werden, so darf man nicht außer Acht lassen, das hier eine gegenseitige Abhängigkeit besteht.
Pipelines sind langfristige und verbindliche Projekte mit Milliarden Aufwendungen und eindeutigen Zielen, nämlich einer Lieferung vom Anfang bis zum Ende der Pipeline . Solange es noch Pipelines gibt, die Richtung Europa verlaufen, dann ist eigentlich nicht viel zu befürchten. Russland wird nicht irrational agieren und das alte Gesetz von Angebot und Nachfrage neu definieren. Russland braucht auch Europa. Seien es die genannten Profite , oder die ebenso notwendigen technischen Hilfen .
Alle 3 Gas-Pipelines Nabucco, Southstream, Northstream sind Ausdruck für eine erfolgreiche europäische Energiestrategie. Die angestrebte Diversifizierung ist zumindest durch die Diversifizierung der Transportwege eingeleitet worden. Die Energiesicherheit ist mit einem langfristigen Handelspartner , welcher in Besitz der größten Erdgasreserven ist, mehr als gewiss.

Grafik: Joep Bertrams